Wie ich meinen Vater verlor!

Es war am 7. November 2018. Ich war am Vormittag in der Schule. Unser Lehrer teilte uns mit, dass in zwei Wochen unsere Jahresabschlussprüfungen stattfinden würde.  Der Tag war kurz und es wurde schnell dunkel. Als ich nach Hause kam, erledigte ich die Hausarbeit und half meine Mutter beim Kochen. Nach dem Abendessen schauten wir gemeinsam einen Film an. Um 11 Uhr gingen alle ins Bett. Wir wussten nicht, dass eine tragische Nacht vor uns stehen würde. Es war eine dunkle und sehr kalte Nacht und ich befand mich im Tiefschlaf, als plötzlich mein Vater in mein Zimmer reinkam und mich aufweckte und zu mir sagte, dass wir schnell unser Haus verlassen müssen. Ich fragte meinen Vater, was los ist und warum wir unser Haus verlassen müssten. Er sagte zu mir, dass die Taliban unseren Bezirk angegriffen haben und uns töten würden. Ich dachte, dass dies ein Alptraum war. Doch leider war dies kein Traum. Als ich aufstand, ging ich zu meinen Eltern. Sie packten alles aus und dann verließen wir unser Haus. Als wir draußen waren, sahen wir viele andere Familien, die auch flüchten wollten. Wir konnten die Feuergeräusche von dem benachbarten Dorf hören.

Die Temperatur lag bei -3 Grad und wir mussten drei Stunden mit Fuß gehen, da wir kein Auto zur Verfügung hatten. Wir sind mit vielen anderen Familien zu Fuß nach Ghujur gegangen, um dort ein Taxi zu nehmen, damit dieser uns nach Ghazni bringen konnte. Mein Vater fand einen Mann, der sich bereit erklärte, uns, um 30.000 Afghanis (Jahreseinkommen einer Familie in Afghanistan) nach Ghazni zu bringen. Normal kostete eine Fahrt von Ghujur nach Ghazni 500 Afghanis, aber jetzt verlangte der Fahrer von meinem Vater 30.000 Afghanis, da er von unserer Dinglichkeit wusste. Der Taxifahrer sagte, dass er einen anderen nehmen müsse, da die Taliban auf dem Weg seien. Wenn man von Jaghori nach Kabul oder in andere Provinzen reisen will, muss man die Provinzen überqueren, in denen die Taliban aktiv sind. Deswegen kommt es öfter vor, dass die Reisenden von der Taliban entführt werden, deshalb nennen die Leute diese Straße als die „Todesstraße“.

Der Taxifahrer hatte ein Auto für fünf Personen. Trotzdem, der Fahrer nahm auch eine andere Familie in sein Auto auf, die vier Personen sind. Wir waren also insgesamt zehn Personen, in einem Auto. Die Kinder müssten im Kofferraum sitzen. Es ist sechs Uhr morgen und wir fahren jetzt los. Es sind viele Familien, Kinder, Frauen und Männer auf dem Weg. Manche Familien sind sogar mit einem Lastwagen unterwegs. Die Kinder weinen. Wir fuhren in Richtung Bezirk Nahur, da dieser Weg im Vergleich zu andere Wegen sicherer ist. Nach drei Stunden Fahrt sind wir schließlich in Nahur angekommen. Die Menschen sind verwirrt und manche erzählen von Ermordungen ihrer Familienangehörigen. Zahra, die mit ihren zwei kleinen Kindern aus dem Dorf Hutqol geflüchtet ist, erzählt uns, wie die Taliban ihren Mann umgebracht haben.

Es ist elf Uhr Vormittag und die Straße ist in Nahur mit drei Zentimeter Schnee bedeckt und es herrscht Chaos auf den Straßen. Der Fahrer sagte zu meinem Vater, dass er einen anderen Weg kenne und die anderen Menschen müssen dies nicht mitbekommen, dass wir unseren Weg trennen. Wir fuhren ungefähr eine Stunde weiter. An einem mir unbekannten Ort standen fünf bewaffnete Männer, die lange Bärte und einen Turban um ihren Kopf gebunden hatten. Als sie unser Auto sahen, winkten sie, dass der Fahrer anhalten soll. Unser Fahrer hielt an. Einer von den Männern kam zu unserem Auto und schaute ins Auto. Der Mann sagte zu den anderen Männern auf Pashtu „هزارگانو دی“, „Die sind Hazaras“. Er fragte den Fahrer, aus welcher Region wir kommen würden. Der Fahrer sagte, dass wir aus Nahur kommen würden und ein krankes Kind nach Ghazni bringen würden. Sie sagten zu meinem Vater und dem anderen Mann, der mit uns im Auto saß: „Aussteigen.“ Als mein Vater und der andere Mann ausstiegen, sagten sie zum Fahrer, dass er mit den Frauen und Kinder weiterfahren dürfe. Dann sagte der Fahrer zu meiner Mutter, dass die Taliban meinen Vater mitnehmen möchten und was wir jetzt machen sollen. Als meine Mutter das hörte, schrie sie laut und sagte: „Nein, bitte lass meinen Mann gehen“, aber die Taliban ließen meine Mutter nicht aus dem Auto steigen. Sonst würden sie auch meine Mutter mitnehmen. So fuhren wir weiter und am Abend kamen wir in Ghazni an. Der Fahrer brachte uns zu einer Moschee, wo sich unter anderem Kriegsvertriebene aus Jaghori, Malistan und Uruzgan, befanden.

Die Moschee lag in Nawabad Ghazni und als wir dort ankamen, hörten wir pausenlos Schüsse. Meine Mutter fragte die anderen Familien, was los sei und sie sagten, dass in der Nacht immer zu Schusswechsel zwischen der afghanischen Armee und der Taliban kommt. Wir schliefen in einer Ecke der Moschee und es sind viele andere Familien, die durch die Taliban-Attacke ihre Dörfer verlassen haben. Jede Familie hat ihre eigene traurige Geschichte. Wir wissen noch immer nicht, wo mein Vater ist und was die Taliban mit ihm gemacht haben. Meine Mutter weint die ganze Zeit und sie macht sich große Sorge, da mein Vater unser Ernährer war.

Mein Name ist Sahar (Spitzname) und ich bin 16 Jahr alt. Ich komme aus dem Dorf Angori (ein Dorf im Bezirk Jaghori) und bin in der 9. Klasse Angori High School. In unserem Dorf gehen die Mädchen gerne in die Schule, denn sie sind die Gestalter von morgen. Die Mädchen wollen in der Zukunft, unser Land aufbauen. Mein Traum ist es, Medizin zu studieren.  Ich möchte später in meinem Dorf, eine Klinik für die Menschen, insbesondere für die Frauen, bauen. Es ist Herbst und unsere Jahresabschlussprüfungen waren in zwei Wochen, aber die Lehrer und Schüler flohen alle aus Angst vor den Terroristen und die Schulen blieben geschlossen.

Mein Vater betrieb einen kleinen Laden in unserem Dorf und außerdem hatten wir fünf Schafe und zwei Kühe, die wir hinter uns lassen mussten. Die Bewohner von Jaghori finanzieren ihr Lebensunterhalt durch Landwirtschaft und Viehzucht. Normalweise kaufen alle Familien in dieser Jahreszeit alles, was sie im Winter brauchen z.B. Mehl, Reis, Holz zum Heizen und andere Lebensmittel, da im Winter die Straßen schwer überfahrbar sind.

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Das kleine Kind, die durch Taliban-Attacke auf den Bezirk Jaghori auf der Flucht ist.

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