Es ist der 17. Mai 2016. Christian Kern wird zum 12. Bundeskanzler der zweiten Republik Österreich ernannt. Am 25. Juni desselben Jahres wird Kern auch der neue SPÖ-Bundesparteivorsitzender. Mit ihm als neuer SPÖ-Chef hat auch die mediale Spekulation über die Neuwahl an Intensivität gewonnen.
Christian Kern als neuer SPÖ-Chef war für die Kurz-ÖVP eine sehr ernstzunehmende Gefahr für das Projekt „Ballhausplatz“. Denn die Bevölkerung war von der „neuen Still“ des ehemaligen ÖBB-Managers angetan. Mit seiner Vorstellung des Grundsatzprogramms „Plan A“ schafft er auch das Vertrauen der SPÖ-enttäuschten wieder zu gewinnen. Wäre er damals in die Neuwahl gegangen, hätte die SPÖ mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wahl gewonnen.
Sebastian Kurz musste jedem zugestehen, dass Christian Kern in jeder Hinsicht kompetenter ist als er. Ihm war auch bewusst, dass mit Kern an der SPÖ-Spitze er das Projekt „Ballhausplatz“ nicht erfolgreich abschließen würde. Spätestens mit Plan A wurde dem Kurz klar, dass es sich unbedingt was ändern muss, falls er den Kanzlersessel noch erobern möchte. Er hatte eine Lösung –Probleme zu schaffen und diese medial groß darstellen, denn er wusste es auch, dass Probleme lösen nicht seine Stärke ist. Probleme aufzeigen, aber keine nachhaltige und sachorientierte Lösung zu liefern, hat er schon als Staatssekretär für Integration gemacht und dabei hatte er genug Zeit, diese Fähigkeit zu meistern.
Vor Sommer 2016 wurde die afghanische Community als eine unauffällige, gastfreundliche und motivierte Community wahrgenommen. Die Menschen in der Community waren sehr optimistisch und waren sehr froh, dass sie in Österreich eine zweite Heimat gefunden hatten. Sie fühlten sich in Österreich zuhause und waren den Österreicherinnen und dem Staat wegen der breiten Unterstützung sehr dankbar. Damals habe ich wenigen zum Erzählen getroffen, die von Diskriminierung oder Benachteiligung bei der Arbeitssuche oder ähnlichem mir erzählten. Die Jugendlichen in der Community hatten nicht allzu große Schwierigkeiten gehabt, eine Lehrstelle zu finden oder während des Bewerbungsprozesses wegen ihrer Herkunft benachteiligt geworden zu sein. Die Menschen in der Community waren den Entwicklungen und dem Leben in Österreich gegenüber positiv eingestellt. Und dann kam der Sommer 2016.
Meiner Einschätzung nach hatte die afghanische Community bis Sommer 2016 kaum mediale Präsenz gehabt. Zwischen Sommer 2016 und vor der Nationalratswahl 2017 kam die Lösung von Sebastian Kurz. Die Lösung war, ausschließlich negative Schlagzeilen über Flüchtlinge und im speziellen über Afghanen zu publiziert und damit die Probleme medial groß darstellen. Sebastian Kurz hat in Kooperation mit den „Boulevard Zeitzungen“ die afghanische Community zum Feindbild erklärt und sie zur Zielscheibe gemacht. Die afghanischen Flüchtlinge und Community wurden zum Wahlkampfmittel. Nennenswert ist, dass ausschließlich einseitig berichtet wurde. Zahlreiche Podiumsdiskussionen wurden organisiert, wie zum Beispiel über die „Flüchtlinge und ihr Wille zur Integration“, oder „Flüchtlinge und die damit verbundenen Probleme“. Dabei wurde immer wieder ÜBER die Afghanen gesprochen. Keine einzige Diskussion fand MIT ihnen statt. Die Probleme wurden so groß dargestellt, dass die afghanische Community begonnen hat, ihre Zuversicht und Optimismus zu verlieren. Die Community wurde depressiver. Ja, den Menschen in der Community war es deutlich anzusehen, wie sie sich dafür schämten, als „Afghane“ bezeichnet zu werden. Das Wort „Afghane“ stand bald für „frauenfeindlich“ und „Mörder“. Die Konsequenz dieser Kampagne war, dass die Afghanen begonnen haben ihre Nationalität zu verleugnen. Diese Konsequenzen sind nachhaltig. Bis heute wird die afghanische Community als Frauenfeindlich betrachtet. Die Menschen aus der Community werden im Alltag diskriminiert und tun sich extrem schwer einen Arbeitsplatz oder eine Wohnung zu finden. Die Jugendlichen, die sich für eine Lehrstelle bewerben werden, benachteiligt. Die gegen die afghanische Community gerichtete Kampagne hat die Community dazu verleitet, gar keine Träume mehr zu haben. Sie hat sich mit Kleinigkeiten zufriedengegeben, weil sie ihr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen verloren hat: weil sie dachte, dass sie nicht mehr in ihrer Heimat ist und deswegen kann sie auch nichts Großes schaffen. Sie hat gelernt zu vergessen, dass alle politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auch sie angehen.
Es ist der 1. Juli 2017. Die Interessensgemeinschaft der afghanischen Studierenden und SchülerInnen (IGASuS) hat die Öffentlichkeit zu ihrer jährlichen AbsolventInnenzeremonie in das Ministerium für Verkehr, Innovation und Technologie eingeladen, um mit ihnen gemeinsam die afghanischen AbsolventInnen, die entweder ihre Lehre, Matura, oder die Universität erfolgreich abgeschlossen hatten, zu feiern. Der große Festsaal war bis auf die letzte Reihe vollbesetzt. Eingeladen war der Bundespräsident, VertreterInnen aus den politischen Parteien, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Kunst, Menschenrechtsorganisationen, Persönlichkeiten aus der Gesellschaft und die Medien. Gekommen waren VertreterInnen aus den Bundesparteien SPÖ, NEOS, den Grünen, von der Stadt Wien, Menschen aus der Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Kunst, Persönlichkeiten aus der Gesellschaft und auch die Medien. Natürlich waren auch die ÖVP und die FPÖ eingeladen. Sebastian Kurz, als Zuständiger Minister für Integration war persönlich eingeladen. Aus seinem Büro wurde uns mitgeteilt, dass der Herr Bundesminister leider wegen dem Bundesparteitag nicht kommen kann. Auf unsere Nachfrage wegen einem Vertreter oder einer Vertreterin bekamen wir leider keine Antwort. Wir haben, um ehrlich zu sein, mit der fixen Anwesenheit des Integrationsministeriums gerechnet, denn gerade für das Integrationsministerium soll eine Veranstaltung wie diese von einer immensen Bedeutung sein. Die FPÖ hat auf die Einladungen nicht reagiert. Mit dieser Veranstaltung wollte IGASuS der österreichischen Gesellschaft und dem Staat Österreich vermitteln, dass die afghanische Community die Gesetze und Verfassung Österreichs respektiert und akzeptiert. Dass die afghanische Community für den Wohlstand und Fortschritt Österreichs arbeitet und, dass die Sorgen Österreichs auch ihre sind. IGASuS wollte aber auch der Community zeigen, dass wir es schaffen aus dieser Phase herauszukommen und dass wir auch stolz auf uns sein können, dass in uns weit mehr steckt, als es medial präsentiert wird, und dass wir gemeinsam und entschlossen nach vorne schauen müssen.
Ein Plädoyer an die Community:
Wir dürfen nie aufhören, groß zu träumen und uns mit Kleinigkeiten zufriedengeben. Schreiben wir Bildung und Aufklärung extra groß, und speichern wir sie für die Ewigkeit in unserem Gedächtnis. Seien wir stolze FeministInnen und lasst uns mit Herz und Kopf für die Frauenemanzipation arbeiten. Nehmen wir unser Schicksal selbst in den Händen und erlauben niemanden für uns zu entscheiden. Um das in Österreich realisieren zu können, müssen wir Österreich wieder als unsere Heimat betrachten. Wir sind kein Gast mehr. Alle politische und gesellschaftliche Entwicklung Österreichs betreffen uns direkt, also beteiligen wir uns aktiv an diese Prozesse. Nehmen wir die neuen Entwicklungen in unserer Heimat ernst und seien wir wachsam und mutig, diese auch wenn nötig entgegenzuwirken.
Dies ist eine fantastische Anleitung! Ich wirklich diesen kurzen Artikel geschätzt.